An einem viel zu kalten Frühlingstag rasen sie mit ihren Fahrrädern durch die westdeutsche Provinz. Lassen zuerst das blankgeputzte Ortsschild und dann das Neubaugebiet hinter sich. Nur um kurz darauf in ein anderes Fertighausfiasko einzufahren. Den Vorhof zur nächsten Kleinstadthölle. Nicht genug, dass ihnen in ihren eigenen Häusern und Straßen und Ortsteilen die Luft zum Atmen genommen wird. Jetzt wächst sich das alles immer noch weiter aus und an den Rändern zusammen. So dass sich die Menschen aus Muffhausen und Langenweiler bald über ihre Jägerzäune hinweg unterhalten können. Und dabei Schnittmengen entdecken: Alle Sternzeichen Gartenzwerg Aszendent Schweinebraten.

Raus. Nur weg von hier. Sie treten noch kräftiger in die Pedale, legen sich in Kurven, und die Bebauung um sie herum zieht sich immer weiter zurück. Links und rechts fliegen verfallene Gewächshäuser vorbei, und durch die schier endlosen Rapsfelder halten sie auf das Industriegebiet zu. Auf die alte Spedition. Vor der Pascal auf einer Bank sitzt und raucht. Vor der Pascal lächelnd eine Zigarette mit löchrigen Pantoffeln austritt und dann in das Gebäude geht, um Wasser aufzusetzen. Der Teekessel pfeift. Pascal dreht die Gasflasche zu, nimmt den Kessel vom Kocher und gießt ein. Das tut gut. Die Wärme breitet sich in ihnen aus und stemmt sich so gegen den Wind, der sich über die undichten Fenster Zutritt verschafft und als ständiger Luftzug durch das Haus ohne Heizung geht, sich als eisige Kälte in den Wänden und dem Boden und der Decke und überall dazwischen festsetzt.

Und dann erzählen sie – wie immer atemlos – von der Enge und der Wut und der Angst, davon, wie sich das anfühlt, gerade jetzt und gerade hier ein Kind zu sein. Es sprudelt nur so aus ihnen heraus, weil das alles ja irgendwohin muss und niemand außer Pascal sie ernst nimmt. Niemand außer Pascal ihnen überhaupt zuhört. Und dann werden sie ruhiger. Und lehnen sich zurück. Und dann erzählt Pascal: von Jugoslawien, Griechenland, Ungarn, der Türkei, Tunesien, Marokko, Mexiko – von Ländern, die sie nur aus dem Fernsehen kennen. Abenteuerliche Geschichten. Unglaubliche Geschichten. Für heiße Ohren. Mit leuchtenden Augen blicken sie immer wieder durch die Fenster auf den ausrangierten LKW, der aussieht, als würde auch er aufmerksam zuhören. Und sich erinnern. Und nicht widersprechen.

Fragen über Fragen über Fragen. Bis Pascal müde ist. Und sie nach Hause schickt, die schwere Tür hinter sich abschließt, die schmutzigen Vorhänge zuzieht. Und als sie dann später unter ihren viel zu kurzen Decken in ihren viel zu kleinen Betten liegen, fragen sie sich, warum Pascal in diesem Haus ohne Strom und fließendes Wasser lebt, warum Pascal so oft so müde ist und das dann wochenlang bleibt. Hinter der verschlossenen Tür und den zugezogenen Vorhängen. Und obwohl sie das Gefühl haben, Pascal sonst alles fragen zu können – das fragen sie nicht. Sie fahren einfach immer wieder los und sehen nach, ob Pascal auf der Bank sitzt und raucht.

Jahrzehnte später veröffentlichen sie diese Platte für sie.

Meter sind

Michael Braun - Gitarren, Jens Fischer - Bass;
Timothy Färber - Schlagzeug, Thorsten Rosam, Gesang.

"Pascal" EP

ab 10.12.2021 auf Vinyl & digital.

Vorbestellungen ab jetzt hier.